Lehrer Schmidt

YouTube-Star appelliert an die Fortführung und den Ausbau der digitalen Errungenschaften infolge der Corona-Pandemie im Schulbereich!

Schulleiter Kai Schmidt, den viele als „Lehrer Schmidt“ aufgrund der äußerst erfolgreichen Erklärvideos auf seinem YouTube-Kanal kennen, gibt im Gespräch mit dem MLLV interessante Einblicke.

Lehrer Schmidt ist Leiter eine Oberschule im niedersächsischen Uelsen. Einst ärgerte er sich darüber, dass seine Schülerinnen und Schüler keine Lust auf Hausaufgaben hatten und kam deshalb auf die Idee, den Lernenden über Erklärvideos wieder Appetit auf das Lernen zu machen, ihnen bestimmte Themen dadurch näher zu bringen und sie dazu zu bewegen, sich auch fern von der Schule, im häuslichen Umfeld, Wissen anzueignen. Heute ist er aufgrund seiner Pioniertätigkeit im Zusammenhang mit digitaler Bildung, die gerade während der Corona-Pandemie und in Zeiten von Homeschooling immer wichtiger wird, ein viel gefragter Gesprächspartner und gab auch dem MLLV seine Erfahrungen weiter. 

MLLV: „Lieber Kai, wir freuen uns, dass du dir für das Gespräch heute Zeit genommen hast. Herzlichen Glückwunsch zu 800 000 Followern auf YouTube und 110 Millionen Klicks deiner Videos!“

Lehrer Schmidt: „(lacht) Vielen Dank. Offiziell sind es nur 98 Millionen Klicks, da ich einige meiner ersten Videos auf YouTube, die bereits Klicks generiert hatten, wieder gelöscht habe.“

MLLV: „Inwiefern hat sich durch deinen YouTube-Kanal dein Leben verändert?“

Lehrer Schmidt: „Mein Leben hat sich überhaupt nicht verändert. Alle wissen an meiner Schule, dass ich Webvideo-Produzent bin. Manche Kolleginnen und Kollegen nutzen diese Videos auch, aber dann ist auch gut. Auch unterrichtstechnisch hat sich kaum etwas geändert. Der Unterricht findet phasenweise als Flipped-Classroom statt, aber auch ganz oft ganz normal. Ich koche auch nur mit Wasser.“

MLLV: „Wird die Arbeit zum Beispiel mit solchen Erklärvideos oder durch „Flipped-Classroom“ in Zukunft die Rolle der Lehrkraft verändern und wenn ja in welche Richtung?“

Lehrer Schmidt: „Der große Reiz am Lernvideo ist, dass sich jede Pädagogin und jeder Pädagoge überlegen kann, wie er diese Videos im Unterricht einsetzt. Man kann die Lernvideos zur Differenzierung einsetzen, zum Nachbereiten, Vorbereiten, Üben, Lernen und alles, was dazugehört. Das finde ich so reizvoll an der Sache. Jeder soll meine Videos in der Art nutzen, wie er sie braucht. Meine ursprüngliche Intention war allerdings kostenlose Nachhilfe anzubieten. Ich wollte für meine lernschwachen Hauptschülerinnen und -schüler die Möglichkeit bieten, sich vor der Abschlussprüfung, vor der nächsten Mathearbeit oder für die Hausaufgaben noch einmal alles anzusehen. Ich habe sehr früh das Potential der Lernvideos erkannt: Suche dir deinen Lehrer aus, schau dir die Videos von wo auch immer, wann auch immer und so oft wie du möchtest an und drücke auf ‚Stopp‘, auf ‚Langsam‘ oder auf ‚Zurück‘. Mittlerweile baue ich in die Lernvideos Pausen ein nach dem Motto ‚Schaue dir das Video bis hierhin an, drücke dann auf Pause, rechne zuerst die Aufgabe und vergleiche dann den Lösungsweg‘.“

MLLV: „Schülerinnen und Schüler könnten ja auch selbst Erklärvideos erstellen, oder?“

Lehrer Schmidt: „Das habe ich auch schon gemacht. Ich finde das ganz toll, wenn der Lernende zum Lehrenden wird. Das kann sehr effektiv sein. Immer wenn ich mal ein Zeitfenster habe, dann baue ich solche Sequenzen auch in meinen Unterricht ein. In einer Doppelstunde Mathe gelingt es den Jugendlichen in Gruppenarbeit sieben bis acht solcher Lernvideos zu erstellen. Das macht richtig Spaß.“

MLLV: „Wie würdest du die technische Ausstattung an deiner Schule beschreiben? Worauf legst du ganz besonders Wert?“

Lehrer Schmidt: „Ich habe eine toll ausgestattete Schule, weil ich meinen Schulträger danach ausgesucht habe. Mir wurden die Gelder so zur Verfügung gestellt, wie ich es haben wollte. Ich habe ein Glasfaser-WLAN in allen Gebäudeteilen, in jedem Klassenraum. Wir haben in jedem Klassenraum einen Beamer und eine Dokumentenkamera. Jedem im Kollegium steht ein I-Pad zur Verfügung. Bei uns gibt es Aufgabentools und E-Learnings. Dies funktioniert alles, weil die technischen Ressourcen da sind. Die Kolleginnen und Kollegen werden über Micro-Fortbildungen fortgebildet. Mehrere von ihnen machen sich fit und bieten in allerhöchstens vierzig Minuten immer auf freiwilliger Ebene ihre Erkenntnisse anderen Kolleginnen und Kollegen an. Um beispielsweise den schulinternen E-Mail-Account anzulegen, haben wir kurze Tutorials für die Lehrkräfte erstellt, in Videoform aber manchmal auch in Bildreihenfolge als PDF.“

MLLV: „Was sind deine Ausstattungsanforderungen für Schule im Hinblick auf den „Digitalisierungsturbo“, den es gerade gibt? Was wären deine Empfehlungen für Schulleitungen und Sachaufwandsträger? Welche IT-Ausstattung wird benötigt?“

Lehrer Schmidt: „Der Sachaufwandsträger hat uns das Angebot gemacht, alles zu machen, wenn jemand mit einem Digitalisierungsplan kommt. Das hat gut geklappt, weil ich genau wusste, was notwendig ist. So waren wir uns schnell einig. Wir setzen auf I-Serve, eine Firma aus Niedersachsen, die sehr früh erkannt hat, dass schulische Kommunikation ein Geschäft ist. Die bieten einen Komplettlösungsansatz an, so ein bisschen wie eine Schul-Cloud-Landeslösung. Bei uns hat jedes Kind und jede Lehrkraft schon vor Jahren eine E-Mail-Adresse bekommen, worüber wir Aufgaben verteilen und einsammeln können. Wir haben alle einen Kalender, also alles das, was man unter einer Business-Lösung versteht. An diesem Server, den bei uns jede weiterführende Schule hat, ist auch das MDM (Mobile Device Management) angeschlossen. Das heißt, dass über den Server das W-LAN zentral gesteuert werden kann. Wir können Gäste temporär mit einladen oder Geräte ausschließen. Da hängen bei uns auch die I-Pads dran. Also alles greift ineinander. 

MLLV: „Was sind die Grundkompetenzen, die eine Lehrkraft deiner Meinung nach braucht, um ein digitales Endgerät im Unterricht einzusetzen?“

Lehrer Schmidt: „Wie gesagt war an meiner Schule eine Frage zentral: Wie schaffe ich es, mit einem Wisch meinen Bildschirm vom I-Pad an die Wand zu werfen? Eine weitere wichtige Kompetenz ist es aus meiner Sicht, nachzufragen, wenn man im Kollegium etwas nicht versteht. Das ist eine Kultur, die man tatsächlich erst lernen muss. Es ist an meiner Schule überhaupt keine Schande, jemanden zu fragen, wenn man irgendetwas nicht verstanden hat. Eine Kompetenz ist es auch, unser schulinternes Ablagesystem von Materialien zu nutzen und auch zu wissen, wie ich dort etwas finde. Über Kleinschrittigkeit und Microfortbildungen schaffen wir es, dass das Kollegium auch die Gier auf etwas Neues entwickelt. Im Team wird jeder mitgenommen und keiner zurückgelassen. Wir haben auch einen digitalen Stundenplan, über den man schauen kann, wer für dich einspringt. Unterrichtsmaterial in Vertretungssituationen kann somit direkt an denjenigen geschickt werden, der einen vertritt. So gelangt man per E-Mail entweder an die Dateien oder hat über den Link zum Server Zugriff auf Materialien. Dann gibt es Bereiche für die Fachkonferenzen, für das gesamt Kollegium und einen Bereich für Veranstaltungen. Hier kann jeder, der an der Organisation von Veranstaltungen an der Schule beteiligt ist, auf die To-do-Liste zugreifen und schauen, was er machen muss und arbeitet das dann ab.“

MLLV: „Welche Chancen siehst du in digitalen Tools und gibt es da Dinge, wovon Schülerinnen und Schüler profitieren können? Gibt es da neben den Erklärvideos noch weitere Bereiche?“

Lehrer Schmidt: „Padlet gefällt mir total gut als Anwendung. Bei uns haben viele Kolleginnen und Kollegen ihre Unterrichtseinheit über Wochen als Padlet abgebildet. So haben Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, zu schauen, was haben wir gestern gemacht und was haben wir vorgestern gemacht. Da werden auch Lernvideos eingebettet und andere Medien. Somit kann man immer wieder hin- und herspringen. Das ist für die Schülerinnen und Schüler eine sehr gute Visualisierung. Das ist auch für Eltern sinnvoll, die sich eine feste Struktur wünschen. Ein weiteres wichtiges Thema ist aus meiner Sicht das Thema Individualisierung. Nur mit den technischen Tools haben wir die Möglichkeit, Unterricht wirklich nachhaltig zu individualisieren, auf verschiedenen Niveaustufen zu lernen und nachvollziehen, wo die Lernenden stehen. Davon kann man dann sein Lehrerhandeln ableiten. Die technischen Möglichkeiten bieten uns mehr Differenzierung. Auch das Feedback gestaltet sich somit viel differenzierter. Man kann eine Rückmeldung zu verschiedenen Bereichen geben und muss nicht mehr das Gesamtpaket mit einer Note beurteilen.“ 

MLLV: „Das gibt den Schülerinnen und Schülern auch mehr Freiheiten im Selbstlernprozess. Sie gelangen so zu einem eigenen Lerntempo. Außerdem bietet dies auch Vorteile für die Lehrkraft. Du hast eben z. B. von individuellem Feedback gesprochen.“

Lehrer Schmidt: „Es gäbe eine Menge Bereiche, in denen man uns Lehrerinnen und Lehrer ganz einfach entlasten könnte. Hier schwebt mir ein vernünftiges Aufgabentool vor, das eine Art Ersatz für das Schulbuch darstellen könnte, und mit dem wir beispielsweise Lernmaterialien wie Lernvideos, Zusatzaufgaben und Anwendungsaufgaben in Form eines interaktiven PDFs individuell verknüpfend einbringen könnten. Somit könnten wir uns aus dem Buch heraus als auch wieder in das Buch hineinbewegen. Das sind die Dinge, die lange überfällig sind. Die Frage lautet, warum wir eigentlich in Deutschland immer noch mit Schulbüchern aus Papier arbeiten und warum auch Lernvideos nicht bereits fester Bestandteil von Schulbüchern sind. Wenn ich etwas nicht verstehe, hole ich mein Smartphone heraus, scanne den QR-Code und bekomme es noch einmal erklärt. Diese Dinge verstehe ich nicht.“   

MLLV: „Du hast ja auch selbst Arbeitshefte veröffentlicht, in denen du das, was du gerade beschrieben hast, versuchst umzusetzen. Diese sind höchst kompetenzorientiert gestaltet.“

Lehrer Schmidt: „Ja, das habe ich allein in die Hand genommen, weil es niemanden interessiert hat. Ich konnte nicht viele für diese Idee begeistern. Deshalb habe ich es dann letztendlich auch selbst gemacht.“

MLLV: „Das Thema „Neue Lernmedien“ ist eines, das durch Corona sicher angestoßen wird. Oder ist es deine Sorge, dass alles so bleibt, wie bisher?“

Lehrer Schmidt: „Wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich, dass wir schneller wieder da sind, wo wir herkommen. Der Idealist in mir sagt, jetzt ist die Chance alles zu verändern, der Realist sagt, sobald die Pandemie vorbei ist, sind wir wieder genau dort, wo wir 2020 im Februar waren. Das wäre schade, da sich gerade nicht nur Schule verändert hat, sondern auch das gesamte Leben, das stetig digitaler und schneller wird. Wissen ist eher verfügbar, als es gelernt werden muss. Deshalb wird es höchste Zeit, dass sich Schule anpasst. Wenn wir es als Institution Schule nicht schaffen, uns entsprechend anzupassen, dann wird es der Markt ohne uns tun. Dann sind Schulabschlüsse irgendwann nicht mehr relevant, sondern die außerschulischen Zertifikate oder Seminare, die ich belegt habe, um mich entsprechend zu bilden. Wir müssen aufpassen, dass es nicht irgendwann ohne Schule geht. Es geht um die Gefahr der Privatisierung des Bildungssektors.“ 

MLLV: „Wir haben interessante Einblicke in deine Vorstellungen einer ‚Digitalisierten Schule‘ gewonnen und bedanken uns sehr herzlich bei dir für das interessante Gespräch. Es hat Spaß gemacht, dich kennenzulernen. Dir alles Gute weiterhin für deine wertvolle Arbeit!“

Lehrer Schmidt: „Gerne!“ 

 

Florian Schmidt, Leiter der Abteilung Berufswissenschaft 

Lena Gebhard, Stellvertretende Leiterin der Abteilung Berufswissenschaft 

Andre Grenzebach, Pressereferent 

 

Dies ist eine gekürzte Version. Das Interview in gesamter Länge finden Sie zum Nachlesen auf unserer Internetseite www.mllv.de